„Dies ist, was wir teilen“ – Eindrücke von der Frankfurter Buchmesse 2016

Ein Bericht von Gunnar Stange

Die Frankfurter Buchmesse ist trotz ihrer vordergründig kommerziellen Ausrichtung sicher einer der geeignetsten Resonanzräume, um dem vielfältigen Umgang mit den großen Fragen unserer Zeit nachzuspüren – sei es auf nationaler, regionaler oder globaler Ebene. In diesem Jahr repräsentierten vom 19. bis 23. Oktober 7.100 Aussteller die Buchmärkte von 100 Ländern. Die Messe ist damit nicht nur die größte ihrer Art, sondern fünf Tage lang ein faktisches globales Dorf, in dem „Indien“ keine fünf Gehminuten von „Marokko“ entfernt liegt und persönliche Begegnungen stattfinden, die sonst dem digitalen Raum vorbehalten bleiben.

Wie gewohnt hatte die Frankfurter Buchmesse auch in diesem Jahr wieder einen Ehrengast geladen. Mit Flandern und den Niederlanden war es dieses Mal jedoch nicht wie sonst üblich ein einzelnes Gastland, sondern eine Kulturlandschaft, die unter dem Motto „Dies ist, was wir teilen“, ihre über nationalstaatliche Grenzen erhabenen kulturellen, sprachlichen und kulinarischen Gemeinsamkeiten feierten. Dieses Motto musste jedem nicht gänzlich unaufmerksamen Besucher als eine Art Imperativ für den emotionalen aber auch intellektuellen Umgang mit einer der größten Herausforderungen dieser Tage gelten – der sogenannten Flüchtlingskrise. Und so war diese denn auch ob ihrer Tragweite, Tragik und der durch sie ausgelösten Kontroversen Thema so mancher Buchpräsentation und Diskussionsrunde vom Blauen Sofa über den Weltempfang, das Lesezelt bis hin zur Bühne des Spiegel-Verlages.

Auf erstgenanntem stellte etwa die diesjährige Preisträgerin des so bedeutsamen Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Carolin Emcke, ihr Buch „Gegen den Hass“ vor, in dem sie konstatiert „... ich halte es für keinen zivilisatorischen Zugewinn, wenn ungebremst gebrüllt, beleidigt und verletzt werden darf“. Der Jury des Friedenspreises kann nicht genug für diese Entscheidung gedankt werden. Setzt Emcke mit ihrem Buch doch ein klares Zeichen wider die Verrohung des öffentlichen Diskurses, in dem völkisches und xenophobes Gedankengut mehr und mehr salonfähig zu werden scheinen und so den Nährboden für zivilisationsunwürdige Barbareien wie die zunehmenden brutalen Übergriffe gegen Migranten bereiten.

Auf der Bühne des Spiegel-Verlages präsentierten Herfried und Marina Münckler ihr Buch „Die neuen Deutschen. Ein Land vor seiner Zukunft“ und zeigten dem Publikum auf kluge und unaufgeregte Weise, dass ein empathischer und zugleich sachorientierter Umgang mit den Herausforderungen der aktuellen Flüchtlingsbewegungen nicht nur möglich, sondern unerlässlich ist. In ihrem Buch gelingt es den beiden aufzuzeigen, dass große Migrationsbewegungen nicht die Ausnahme, sondern vielmehr die Regel sind und es gerade Deutschland in der Vergangenheit wiederholt geschafft hat, sich im Kontext großer Zuwanderungsströme erfolgreich neu zu erfinden und vieles dafür spricht, dass sich dies trotz aller Herausforderungen mittel- und langfristig auch für die aktuelle Situation bewahrheiten wird.

Das größte Signal der Hoffnung auf dieser Buchmesse kam allerdings von jenen, von denen man eigentlich annehmen müsste, sie hätten längst alle Hoffnung fahren lassen: Insgesamt hatten sich gegen alle Widrig- und Wahrscheinlichkeiten drei Verlage aus Syrien erfolgreich auf den Weg zur Frankfurter Buchmesse gemacht. Auf die Frage, was sie bewegt hätte, die Risiken und Strapazen dieser Reise auf sich zu nehmen, entgegneten sie, letztlich ginge es Ihnen um eine einzige Botschaft: „Wir leben noch.“

Dies sind nur einige wenige Momentaufnahmen durch die Linse der aktuellen Flüchtlingsströme aus einer kaum überschaubaren Fülle tausender Veranstaltungen in einem temporären globalen Dorf. Und doch stehen sie stellvertretend für die Unerlässlichkeit einer Haltung, die im Kontakt mit dem Fremden zuallererst Ausschau nach dem Gemeinsamen hält, um Verschiedenheit verstehen zu können und sich sodann vielleicht von ihr bereichern zu lassen.

Herfried und Marina Münkler auf der Bühne des Spiegel-Verlages (Foto: Gunnar Stange)